Die guten Wünsche

13. Mai 2012

„Ich muss nur noch mal eben weg,“ sagt C, und meint damit eine Reise. Da mein endgültiger Abschied aus Afghanistan naht, laden wir rasch alle Freunde zum morgendlichen Grillen im Garten ein, damit er mittags seinen Flug erreicht. „Bis das Lammbein durch ist, braucht es so lange, vielleicht sollten wir es diesmal nicht ganz mit auf den Grill packen sondern nur das Fleisch.“ Man sieht C das Bedauern darüber an, später keinen Knochen abnagen zu können, aber er sieht es ein. Die Gäste kommen, C fliegt ab. Trotz sofortigen Aufräumens und Spülens umflort am Abend ein Missgeruch die Küche. Soweit ich sehe, liegt dort nur noch die Tüte eines Gastes, mit dem Vermerk, sie nicht wegzuwerfen, doch am nächsten Morgen wache ich im Schlafzimmer von einem Pesthauch auf, der mich umgehend aufstehen lässt. Sorgsam verborgen unter der Tüte liegt vergessen der Lammknochen. „Oh nein,“ ruft C am Telefon, „ich dachte, vielleicht könnhte man ihn ja doch noch … und dann habe ich ihn einfach vergessen!“

Für mein kulinarisches Wohl ist in den Abschiedstagen gesorgt. „Wer geht, bringt noch einen Kuchen mit, oder?“ erkundigt sich Mr. A. „Das mag wohl so sein, aber ihr habt bei mir auch noch eine Einladung ins Restaurant gut,“ sagt Mr. M. Dort angekommen, schaut die Grazie sich misstrauisch um. „Man hört, hier gehen Liebespaare hin, ich hoffe, niemand sieht mich hier!“ tuschelt sie.

Eine gemeinsam finnisch-estnische Abschiedsgartensauna, eine letzte Milonga auf dem Dach der kanadischen Botschaft, und unendlich viele afghanische Köstlichkeiten in verschiedenen Runden machen den Abschied nicht leichter. Das Team schenkt mir einen hinreißenden Teppich aus Herat, auf dem sich mythenhafte und geradezu psychedelische Gestalten tummeln. Begleitet von den typisch afghanischen guten Wünschen an Reisende verlasse ich Kabul: „Möge dein Platz immer grün bleiben.“

Dies ist der letzte Grüne Afghane. Mittlerweile lebe ich in Beirut. Damit die guten Wünsche in Erfüllung gehen, gibt es von dort den Grünen Libanesen.

Zur Tür herein, zum Fenster raus

1. Januar 2012

Eines der begehrtesten Güter in Afghanistan ist Bildung. „In wenigen Jahren werden über 70% unserer Bevölkerung unter 30 Jahre alt sein,“ sagt Sanjar Sohail, Herausgeber der Dari-sprachigen Zeitung „8 am“, „kannst du dir vorstellen, wie unsere Gesellschaft aussehen wird, wenn die nächste Generation keine vernünftige Ausbildung erhält?“ Die Köchin, die in den letzten Jahren mit Begeisterung am täglichen Lese- und Schreibunterricht für die Büroangestellten teilgenommen hat, deutet auf ihren kleinen Sohn, der mit einem Chutney-Glas hinter ihr steht: „Er hilft mir beim Kochen, ich helfe ihm bei den Hausaufgaben. Vorher ging das nicht!“ Ob beim Bohnenschneiden oder Kartoffelschälen, das Buch liegt immer neben dem Topf und oft hören wir, wie sie laut daraus vorliest.

Wer es sich leisten kann, besucht parallel zur Arbeit Weiterbildungen – Sprachkurse, Abendstudien oder Workshops sind beliebt. „Guck mal, ich habe in Peshawar sogar einen Kurs in christlichen Studien belegt,“ trumpft Mr.

M. auf und legt mir ein entsprechendes Zertifikat vor. Derweil postet die Grazie auf deutsch: „Lebkuchen will ich.“ Drei Mal in der Woche geht sie vor der Arbeit zu einem Deutschkurs.

Eine reizende ältere Dame, die in Deutschland studiert hat, wünschte sich, dass sich die Deutschen auch im Bildungssektor stärker in Afghanistan engagieren würden. „‚Wenn ich anfinge, die Fortschritte seit 2001 aufzuzählen, säßen wir noch lange hier. Allerdings ist es auch so, dass viele ausländische Organisationen im wesentlichen in ihre Gebäude, ausländisches Personal und ihre Sicherheit investiert. Für die Projekte ist nicht viel übrig geblieben. Wie wir es ausdrücken: Das Geld kam zur Tür herein und ging zum Fenster wieder raus.

Hört man das Klagelied eines Vertreters einer deutschen Einrichtung, könnte man glauben, er sei schon froh, wenn er überhaupt Tür und Fenster hätte. In einem fürchterlichen Zustand sei das Gebäude, heruntergekommen und noch nicht einmal erdbebensicher … zunächst müsse darein investiert werden. Ich kenne das Haus, eines der wenigen mit Zentralheizung. Seit kleineren Renovierungen im letzten Jahr würde sich jede afghanische Schule oder Universität danach die Finger lecken.

Organisationen wie Ofarin oder der Verein zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan heben sich positiv davon ab: Ihre Gelder kommen zu über 95% direkt der Arbeit vor Ort zugute. „Für uns ist es manchmal nicht einfach wenn Großprojekte in unserem Bereich gestartet werden,“ erzählt ein Vertreter einer kleinen,  seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiven Organisation. „Wir sind bestrebt, unsere Mittel größtenteils für den Unterricht auszugeben, nicht für die Ausstattung. Wenn große Organisationen auf den Plan treten, drängt das Ministerium uns, genau wie sie zu arbeiten und erstmal neue Möbel anzuschaffen, Computer in die Klassen zu stellen und ähnliches.“

Im Universitätsbereich gibt es einige sehr gut funktionierende Kooperationen, insbesondere bei Informatik mit der TU Berlin, oder ein Studiengang in  öffentlicher Verwaltung speziell für afghanische Studenten in Erfurt. Bewerbungen um Stipendien nach Deutschland verlaufen aber oft im Sande: „Ich habe mich schon zum dritten Mal auf die Ausschreibung beworben, aber ich bekomme noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung,“ sagt Mr. M. Ich versuche, die betreffende Einrichtung zu erreichen, aber auch meine Mails und Anrufe bleiben unbeantwortet. Als ich schließlich einen gestressten Vertreter treffe, zuckt er die Schultern: „Du glaubst gar nicht, was wir von höheren afghanischen Ebenen für Druck bekommen. In einem technischen Studiengang müssen wir jemanden zum Abschluss bringen, der kaum Lesen und Schreiben kann. Und in Germanistik haben wir auch so einen Fall, bei dem jemand, der nicht ein Wort Deutsch kann, irgendwie durchkommen muss. Da fallen einige Qualifizierte hinten runter.

Als ich in Deutschland bei der gleichen Organisation den Mangel an Stipendien anspreche, schnaubt der hiesige Repräsentant verächtlich: „Wir sind eben sorgfältig bei unserer Auswahl. Das ist nicht so wie bei gewissen anderen Staaten, die den Leuten ihre Stipendien geradezu hinterherwerfen.“ Bei diesem Nachwerfen ist unter anderem Australien 2011 um einen begnadeten afghanischen Germanisten reicher geworden.

Doppelt hält besser

28. Dezember 2011

Eine kleine Nachlese zur Vorweihnachtszeit: Die beiden bärtigen Herrn haben etwas auf dem Herzen. „Sag mal, Weihnachten … ist da eigentlich frei?“ Ist es nicht, denn das Büro richtet sich nach den afghanischen Feiertagen. Sie machen lange Gesichter und lassen klickend die Perlen ihrer Gebetsketten durch die Finger rinnen. „Können wir dann frei nehmen?“ – Der afgahnische Verwaltungschef nickt: „Klar, wenn ihr dann feiern wollt, nehmt Urlaub … aber es fällt ohnehin auf ein Wochenende.“

Ein karges Willkommen

5. Dezember 2011

„Was sind Spannungsfelder, bei denen die Vorstellungen von Afghanen und Deutschen besonders weit auseinanderklaffen?“ wurde ich unlängst für einen Artikel gefragt. Diese Frage kommt mir wieder in den Sinn, als ich in die enttäuschten Augen meiner afghanischen Gegenüber bei einer der dieser Tage in Deutschland stattfindenden Afghanistan-Veranstaltungen blicke. Die Veranstaltung an sich ist gut, aber die Versorgung stellt die afghanische Seite vor Rätsel.

Eine halbe Stunde lang tummeln wir uns bereits an kleinen Stehtischen, und mein Gesprächspartner, der das erste Mal in Deutschland ist, hat sich weder für die in kleinen Schälchen gereichten Hühnchen-Stücke mit Himbeeren und Blaubeeren erwärmen können, noch an die mit Schnittlauch dekorierten Maultaschen gewagt. Letztere sind den afghanischen Ashak nicht unähnlich, nur dass sie sehr viel kleiner und mit Soße lediglich getüpfelt sind. Es fällt mir schwer zu erklären, dass wir uns auch für den Hauptgang nicht setzen werden, und dass die Mikroportionen Sauerbraten, die auf Tabletts um uns herum gereicht werden, obendrein bereits der Hauptgang sind.

Berühmt ist die tragische Geschichte von dem Mann, der einem anderen sein Pferd abkaufen wollte. Als er sich zu einem Besuch beim Pferdebesitzer anmeldet, um ihm sein Ansinnen anzutragen, schlachtet dieser das edle Tier, weil er sonst nichts hat, was er seinem Gast zu Essen anbieten könnte. Auch wenn es sich nur um ein Gleichnis handelt, Essen ist eine zentrale Angelegenheit im afghanischen Leben wie im Besprechen und Verhandeln. Großzügig soll es sein, und zu Ehren eines Gastes versuchen selbst die Ärmsten, Fleisch zu servieren. Dementsprechend gering ist das Verständnis für deutsche Häppchenkultur auf Konferenzen, und dass in einem reichen Land ein solcher Geiz gegenüber Gästen herrscht.

RevolutionaryGirl erzählt mir, wie auch sie mit den unterschiedlichen Vorlieben ihre Erfahrungen gemacht hat, als sie in Kabul die Hochzeit ihres Onkels vorbereitete. „Ich habe alles ganz minimalistisch gehalten. Gerade auch beim Bett – die indische und pakistanische Kultur hat es da sehr mit Girlanden und einem ganz überwältigenden Dekor. Ich habe es stattdessen ganz schlicht gehalten. ‚Onkelchen, das ist sowas von out,‘ habe ich ihm erklärt, als er es auch so schwülstig wollte. Als die Braut mein Werk gesehen hat, hat sie sich sofort beschwert, wir wollten sie gar nicht in unserer Familie haben und hätten ihr ihr Zimmer nicht schön eingerichtet.“

Von Dschinnen und Engeln

4. November 2011

Innerhalb der vergangenen drei Jahre mussten wir zwei Mal mit dem Büro umziehen. Als Mieter kann man sich in Kabul glücklich schätzen, wenn Verträge länger als ein Jahr halten und ohne wesentliche Mietpreissteigerungen auskommen. Unser erster Vermieter forderte abrupt das vier- bis fünffache der ursprünglichen Miete. Der nächste verkaufte sein Haus an jemanden, der es eintauschte. Leider wusste der Tauschpartner nicht von uns und setzte uns innerhalb von drei Wochen vor die Tür. Jenseits der logistischen Schwierigkeiten der Bürosuche und der Kosten für Umbauten und Renovierungen ist bei afghanischen Umzügen auch immer ein Schwund an Möbeln zu verzeichnen. Man baut sie nicht auseinander, sondern hievt sie auf Pritschenwagen. Die holprigen Straßen und robustes Auf- und Entladen tragen ihr übriges zum Zerfall bei.

In Ermangelung eines Ikeas haben wir diverse Möbelhäuser getestet. Das Team schwört auf „Istanbul Furniture“, das auf vier Etagen alles für Büro und Privathaushalt anbietet. Die Grazie greift in einen der modernen Teppiche. „So flauschig, so schön … Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich ihn sofort mitnehmen, aber sie kosten 400 Dollar!“ Mr. A. hat Gefallen an einem Kinderbett in Rennwagen-Design gefunden. Die Grazie lacht: „Meine Neffen haben ein Feuerwehrauto als Stockbett. Mit Hupe und Licht!“

Ich lehne mich an etwas, was ich für ein normales Kinderbett halte. „Guckt mal, das ist ja toll, es hat einen Wiege-Mechanismus,“ rufe ich, während ich es noch mal in Schwung versetze. Mit Schrecken im Gesicht gesellen sich meine Kollegen zu mir. „Vorsicht, mach das nicht,“ sagt einer von ihnen. Sie blicken sich unbehaglich an. „Wenn man eine Wiege schaukelt, ohne dass ein Kind darin liegt,“ sagt Mr. M. zögerlich, „dann kommt der Dschinn!“ Als ich Madame C. davon erzähle, nickt sie: „Vom Dschinn weiß ich nichts, aber als ich mir den Hund angeschafft habe, waren afghanischen Freunde auch bestürzt. Es heißt, dann kommen die Engel nicht mehr ins Haus.“

Im Ramadan zum Führerschein

18. Oktober 2011

Eines heiteren Tages im Auto beim Überholen kriegen sich meine Mitfahrer kaum wieder ein: „Hahaha, der hatte ein Schild an der Heckscheibe, dass das Auto zu verkaufen ist!“ – „Aber was ist daran so lustig?“ erkundige ich mich. Unser bärengleicher paschtunischer Fahrer, der unlängst Lesen und Schreiben gelernt hat und mir seither immer die Aufschriften an anderen Fahrzeugen vorliest, erwiedert trocken: „Dass er vergessen hat, Kontaktdaten anzugeben! Wenn man es kaufen will, muss man die Verfolgung aufnehmen.“

Die Grazie erzählt von ihrer Nichte, die sich ein Auto gekauft habe. „Einmal waren wir damit sogar am See, aber das war fürchterlich, weil die ganze Zeit irgendwelche Jungs versucht haben, uns abzudrängen. Sie hat dann einen Unfall gebaut, weil ihr einer den Weg abgeschnitten hat. Seitdem beschwört ihre Mutter sie, das Auto stehen zu lassen. Immerhin kann sie auf dem Uni-Campus parken.“

Während die Gesellschaft Fahrerinnen gegenüber noch nicht sehr aufgeschlossen ist, versuchte neulich immerhin ein Journalist, eine Lanze für Frauen am Steuer zu brechen. Im „Daily Outlook“ hieß es, Frauen seien die besseren Autofahrerinnen, da sie in afghanischen Verkehrsstatistiken gar nicht auftauchen würden. Schon damals hatten wir darüber gewitzelt, im Interesse der allgemeinen Sicherheit ein Fahrverbot für Männer zu fordern.“Wie auch immer,“ sagt die Grazie, „ich jedenfalls habe lange genug davon geträumt, Autofahren zu können und mache nun Nägel mit Köpfen. Ich nehme Fahrstunden!“ Ich bin beeindruckt. „Erzähl! Ist der Unterricht nur für Frauen?“ – „Nein, eine ganz normale Fahrschule.  Aber in den ersten Wochen hatte ich den Kurs ganz für mich allein“ Sie schaut verschmitzt: „Ich habe mich einfach im Ramadan angemeldet, da will niemand anders nachmittags noch lernen!“

Die Zukunft, näher als man denkt

8. Oktober 2011

Afghanische Frauen und Männer machen vieles getrennt, weil Etikette, Tradition oder gesellschaftliche Gepflogenheiten es so vorsehen. Unter den Internationalen in Kabul sind die „Mädelsabende“ eher eine Wunschentscheidung. Was im Freundinnenkreis sehr nett ist, kann in größerem Rahmen allerdings in einem klischeefreudigen Spektakel enden. Einmal geriet in in eine Art kombinierter Verkaufs-, Kosmetik- und Esotherikveranstaltung, getarnt als „Ladies‘ Brunch“. Neben den Konserven und Konfitüren afghanischer Kleinproduzentinnen, bestickten Textilien und Schmuck gab es hier auch die weniger schönen Produkte eines fehlgeleiteten westlichen Projekts: Plastiksüßigkeitenständer mit Perlendekor und dazu passenden Kerzenleuchtern, von meiner Freundin aus Mazar treffend auf den Punkt gebracht, mit „was man auch aus Mitleid nicht kaufen würde“.

Das Amüsanteste dieser Veranstaltung war eine Wahrsagerin, die mir aus Karten und Kaffeesatz lesen wollte. Das erforderte zunächst, dass ich mehrere Tassen Nescafé trank, da das Restaurantpersonal nicht nachvollziehen konnte, warum man einen Kaffee mit Satz darin haben wollen könnte.

Nachdem diese Hürde übernommen war, erklärte mir die vom Räucherstäbchengeruch umflorte Dame aus Albanien meine Zukunft. „Auch wenn es im Moment nicht einfach ist … du bist noch jung und auch dir wird das Glück einmal hold sein.“ Ich fand mich in diesem Moment schon ziemlich glücklich. „Ich sehe es im Kaffee, aber auch in den Karten,“ fuhr die Dame fort und warf sich theatralisch das schwarze Seidentuch über die Schulter. Dann prophezeihte sie mir die Begegnung mit dem Mann meines Lebens. Ich sagte, ich wisse sogar genau, wann das sein werde, denn schließlich sei er mit mir nach Afghanistan gekommen und warte vor der Tür des Lokals. Das fand sie weniger lustig.

Schilderbürgerstreiche

1. September 2011

Da viele Angehörige des Militärs sich nie in der Stadt bewegen dürfen, sind in den Camps Läden oder sogar eigene Basare eingerichtet, in denen man auch als Soldat mutmaßlich landestypische Souvenirs kaufen kann. Hier kann man schöne Tücher, Schals und Umhänge erstehen, aber auch erstaunliche Funde machen. Die grünleuchtenden Kunstharzaschenbecher mit den Skorpionen kommen mir aus den Souvenirläden auf dem Sinai vertraut vor, und ich frage mich, wieviele Soldaten mit den äußerst unafghanischen pailettenstarrenden Bauchtanzgewändern im Gepäck nach Hause fahren.

Eine Stickerei, die die Namensschilder für die Uniformen herstellt, bietet draußen fehlerhafte Exemplare an. Bei den meisten Schildern weiß man nicht, wie es eigentlich hätte heißen sollen, aber ein Herr ist hier mit sage und schreibe fünf Schreibweisen vertreten. Man kann sich vorstellen wie seine Verzweiflung mit jedem Versuch gewachsen sein muss. Auch das „Close Protection Team“ war wahrscheinlich nicht entzückt, dass man einen ganzen Satz mit „Cloes …“ angefertigt hat. Nebenan gibt es afghanische Fußballtrikots in den Farben der Nationalflagge, mit Rückennummer. „Schau, ‚AFGHANISTAN‘ – ganz groß und ohne Fehler,“ sage ich, passiert es nicht nur mir doch ausgerechnet beim Landesnamen oft, im Eifer des Tippens „Afgahnistan“ zu schreiben. Dann jedoch fällt mein Blick auf das über dem Schriftzug aufgenähte Etikett: „Afghanisian“.

Tango im Staubsturm

29. August 2011

Kaum eine Aktion ist absurder als unser Ausflug in den Supermarkt zwecks Erwerb einer große Flasche Babypuder, die wir auf der Dachterrasse einer hiesigen Botschaft zu verstreuen gedenken. Ausgerechnet Asadullah in seinem schwarzen Hemd übernimmt diese Aufgabe und sieht ziemlich staubig aus, nachdem eine comicreife Windbö über die Terrasse hinweggerauscht ist. „Ich frage mich, was unsere Sicherheitsleute wohl denken werden, wenn sie unidentifiziertes weißes Pulver hier finden,“ meint der einladende Diplomat, „besser, wir wischen später“. Der Erfolg des Puderns ist jedoch unstrittig, denn der sonst staubig-stumpfe Marmor hat nun eine viel glattere Oberfläche und eignet sich hervorragend für einen Tango-Abend im Kabuler Sonnenuntergang. In der Vorstellung ist das romantischer als in der Realität dieses Sommers, da häufig in der Dämmerung ein Staubsturm über die Stadt fegt. Schön ist es dennoch zu sehen, wie sich über die früher nachts dunkle Stadt ein Lichtermeer  zu tüpfeln beginnt.

Die Freizeitmöglichkeiten Kabuls sind beschränkt, so dass diejenigen, die selbst etwas anbieten, weithin beliebt sind und ihre Veranstaltungen großen Zulauf haben. Wahrscheinlich ist Kabul die einzige Stadt weltweit, in der bei einem Tanzkurs ein Männerüberhang besteh. Außerdem ist es eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Ausländer und Afghanen gemeinsam einem Hobby nachgehen. Allerdings ist das unter den Afghanen Männern vorbehalten. Afghanische Frauen, die einer Tätigkeit bei einer internationalen Organisation nachgehen, werden oft von der Gesellschaft schräg angeschaut. Wenn sie bei gemischten Tanzrunden zu sehen wären, würde das ihren Ruf wahrscheinlich endgültig ruinieren.

Allerdings gibt es auch nur wenige Orte, an denen das in Kabul möglich ist. Obwohl wir zu Hause zum Beispiel die perfekte Diele zum Tangotanzen hätten, können Diplomaten oder Polizeiausbilder nicht zu uns kommen, da unsere Wächter unbewaffnet sind. Auf der Suche nach einer Ausweichmöglichkeit muss man daher gelegentlich verschrobenen Wünschen nachgeben. Der Botschafter einer anderen Mission, ein Adliger, wie er im Buche steht, heißt uns unter der Auflage willkommen, dass er mittanzen dürfe. Tango hatte er noch nie getanzt, aber als leidenschaftlicher Swing-Tänzer werde er schon improvisieren. An diesen Abenden blicke ich neidisch auf die Kolleginnen von der ISAF, deren Zehen in Militärstiefeln statt Tangoschuhen stecken.

Die geklauten Leckerli

21. August 2011

Bei Reisen aus und nach Afghanistan klappt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. So ist beim letzten Flug einer Grazie von Islamabad nach Kabul ist ihr Gepäck erstmal nach London geschickt worden. Zwar gelingt es durch hartnäckiges Hinterher-telefonieren und die Aktivierung persönlicher Kontakte, es nach Kabul zu befördern, aber leider sind alle äußeren Taschen, die nicht abgeschlossen waren, leergeräumt.

„Das ist garantiert nicht in London passiert, sondern hier,“ argwöhnt sie. „Was war denn drin?“ Ihre Stirn verdüstert sich: „Mein Lieblingsparfüm. Das gibt es hier nur gefälscht, und es riecht abscheulich! Außerdem die Geschenke unseres Kollegen aus Deutschland.“ Während sie darüber sinniert, geht plötzlich ein Lächeln über ihr Gesicht. „Ach weißt du, das ist eigentlich gar nicht so schlimm.  Die Schokolade hätte ich gerne gehabt, aber da war noch diese andere Tüte. Es stand nichts drauf, und in Deutschland richtet man doch alles immer so appetitlich her … das waren Leckerli für unsere Hunde!“

Sie kann sich kaum wieder einkriegen ob des Gedankens, wie ein afghanischer Flughafenmitarbeiter diese im Kreise seiner Familie als Knabberkram reicht.